Die große Menge und die Komplexität der Informationen machen es zusehends schwerer, daraus die richtigen Schlüsse für eine Kariestherapie zu ziehen. In der zahnärztlichen Diagnostik gibt es erste Ansätze zum Einsatz von künstlicher Intelligenz. So könnten neuronale Netzwerke in Zukunft helfen, das Kariesrisiko zuverlässiger zu bestimmen.
Die zahnärztliche und speziell die kariologische Diagnostik sind in den vergangenen Jahrzehnten durch den Zuwachs an Wissen und neuen therapeutischen Methoden wesentlich komplexer geworden. Allein durch das Bestreben, möglichst früh und präventiv in den Kariesprozess einzugreifen, benötigt der Zahnarzt heute wesentlich mehr Informationen und Hilfsmittel als früher, um für den Patienten die optimale Therapie festzulegen (4).
Während früher primär offene kariöse Läsionen, die recht einfach zu diagnostizieren waren, rein restaurativ therapiert wurden, stellt heute die Diagnostik beispielsweise approximaler Läsionen eine Herausforderung dar. Zum einen werden verschiedene diagnostische Hilfsmittel, wie Bissflügelröntgenbilder benötigt, um die Läsionen möglichst in frühen Stadien zu detektieren. Zum anderen sind weitere Informationen, wie Oberflächenbeschaffenheit (Kavitation) und Aktivitätsstatus notwendig, um entscheiden zu können, ob und wenn ja, mit welcher Methode therapiert werden sollte. Darüber hinaus spielen auch das allgemeine Kariesrisiko sowie die Adhärenz des Patienten wichtige Rollen beim Therapieentscheid. Durch die große Menge und Komplexität der Informationen wird es zusehends schwerer, hieraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Im täglichen Leben unterstützen uns Computer zunehmend bei der Verarbeitung von komplexen Informationen. Mittlerweise vertrauen wir Computern nicht nur dabei, uns den schnellsten Weg durch den Stau zu suchen, sondern lassen sogar immer öfter unser Auto durch Computer lenken. Warum sollten uns Computer nicht auch in der zahnärztlichen Diagnostik behilflich sein?
Computer waren bisher zwar gut darin, Rechenoperationen, die Menschen ihnen einprogrammiert hatten, schnell und verlässlich durchzuführen und damit beispielsweise für den Menschen recht schwierige Rechenaufgaben in Sekundenbruchteilen zu lösen. Weit weniger brauchbar waren sie dagegen bei Aufgaben, die für Menschen relativ simpel erscheinen, wie dem Sprechen, dem Erkennen und Interpretieren von Bildinformationen oder dem Lenken eines Autos. Dies ändert sich gerade.
Computer lernen durch Analyse von Daten
Eine erhöhte Rechenkapazität, die Verfügbarkeit von Daten und verbesserte Algorithmen ermöglichen Computern das eigenständige Lernen (Machine Learning). Hierbei werden Computer nicht mehr wie bisher mit von Menschen definierten Regeln „gefüttert“. Vielmehr erlernen Computer die Regeln durch Analyse von Daten eigenständig. So identifizieren sie beispielsweise statistische Muster und Regelmäßigkeiten anhand vieler Beispieldaten (zum Beispiel Text-, Bild- und Videodaten) und nutzen diese für die Prädiktion von neuen Dateninstanzen (beispielsweise Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung eines neuen Patienten basierend auf dem Datenstamm aller Patienten).
Eine besonders erfolgreiche Klasse von Prädikationsmodellen sind die sogenannten künstlichen neuronalen Netzwerke. Deren grundlegender Baustein, die neuronale Einheit, ist durch die biologische neuronale Verschaltung inspiriert. Durch die Kombination dieser Schalteinheiten in Form von Schichten unterschiedlicher Komplexität entstehen spezielle Netzwerkarchitekturen, die für spezielle Fragestellungen, wie etwa Bild- und Spracherkennung, die Fähigkeiten des Menschen übertreffen (sogenannte schwache künstliche Intelligenz). Ähnlich wie in einem komplexen Gehirn, erlaubt eine höhere Anzahl von Neuronen und Schichten (Deep Learning) auch die Analyse komplexer Strukturen (3).
Mit dieser Herangehensweise konnten Computer in vielen Domänen, bei denen der Mensch bisher Maschinen weit überlegen war, in den vergangenen Jahren aufholen und sogar bessere Ergebnisse erreichen. Man denke an den Computer Alpha-Go, der den Weltmeister im höchst komplexen Go-Spiel besiegte (6) oder an die Fortschritte in der Gesichts- oder Spracherkennung der letzten Jahre. Große Internetdienstleister nutzen künstliche Intelligenz bereits seit Jahren, um die riesigen Informationsmengen, die sie über ihre Kunden sammeln, sinnvoll zu interpretieren und so kommerziell verwertbar zu machen.
Künstliche Intelligenz erobert die Medizin
Auch in der Medizin findet künstliche Intelligenz bereits mehr und mehr Anwendungen. In der Dermatologie sind neuronale Netzwerke bereits in der Lage, Melanome auf Bildern zuverlässiger als einzelne Dermatologen zu erkennen (2). In der Radiologie hilft Software bei der Analyse von Röntgenbildern (zum Beispiel Mammografien) und Computertomogrammen (3). Auch in der Pathologie kann künstliche Intelligenz bei der Interpretation von histologischen Schnitten hilfreich sein (5).
Und auch in der zahnärztlichen Diagnostik gibt es bereits erste Ansätze zum Einsatz von künstlicher Intelligenz. So könnten neuronale Netzwerke in Zukunft helfen, das Kariesrisiko zuverlässiger zu bestimmen (7). Ebenso wie in der Medizin könnte die Analyse von zahnärztlichen Röntgenbildern durch künstliche Intelligenz unterstützt werden (1). Auch die frühzeitige Diagnose von zahn- und allgemeinmedizinischen Erkrankungen durch automatisierte Speichelanalyse ist denkbar. Richtig eingesetzt, könnte künstliche Intelligenz uns in Zukunft so helfen, präzisere zahnärztliche Diagnosen zu stellen.
Prof. Sebastian Paris, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Literatur
- Devito KL, de Souza Barbosa F, and Felippe Filho WN, An artificial multilayer perceptron neural network for diagnosis of proximal dental caries. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 2008; 106(6): 879–84.
- Haenssle HA, Fink C, Schneiderbauer R, et al., Man against machine: diagnostic performance of a deep learning convolutional neural network for dermoscopic melanoma recognition in comparison to 58 dermatologists. Ann Oncol 2018.
- Hosny A, Parmar C, Quackenbush J, et al., Artificial intelligence in radiology. Nat Rev Cancer 2018.
- Paris S, Haak R, and Meyer-Lückel H, Diagnostik, Therapieentscheidung und Dokumentation, in Karies – Wissenschaft und klinische Praxis, H. Meyer-Lückel, S. Paris, and K.R. Ekstrand, (Hrsg). Stuttgart: Thieme.2012: 363–371.
- Robertson S, Azizpour H, Smith K, et al., Digital image analysis in breast pathology-from image processing techniques to artificial intelligence. Transl Res 2018; 194: 19–35.
- Silver D, Huang A, Maddison CJ, et al., Mastering the game of Go with deep neural networks and tree search. Nature 2016; 529(7587): 484–9.
- Tamaki Y, Nomura Y, Katsumura S, et al., Construction of a dental caries prediction model by data mining. J Oral Sci 2009; 51(1): 61–8.