Gut ein Viertel der in der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie untersuchten Kinder hat mindestens einen Zahn mit einer Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) – oft leicht, manchmal aber auch stark ausgeprägt. Hat die Prävalenz der MIH zugenommen oder haben Karies und deren Therapiefolgen diese Strukturanomalien bislang überdeckt?
Die MIH wurde 2001 als abgegrenzte, systemisch bedingte Strukturanomalie an 6-Jahr-Molaren und bleibenden Schneidezähnen definiert, die sich an mindestens einem der Molaren, optional zusätzlich an Schneidezähnen in Form von Opazitäten oder Schmelzverlusten darstellen kann (1). Primär ist der Schmelz fehlstrukturiert und mindermineralisiert, wodurch es unter dem Einfluss von Kaukräften schon kurz nach dem Zahndurchbruch zum Verlust des fehlstrukturierten Schmelzes mit Dentinexposition kommen kann (2). MIH-Zähne können auch ohne Schmelzverluste auf Temperatur- und Berührungsreize schmerzhaft reagieren (2). Dies kann für die betroffenen Kinder deutliche Einschränkungen bedeuten und stellt das Behandlerteam häufig vor besondere Herausforderungen.
Die Ätiologie der MIH ist bislang ungeklärt. Auch die Angaben über die Verbreitung und Schwere der Schmelzbildungsstörung differieren weltweit stark. So beschreiben Elfrink et al. in einer Übersichtsarbeit eine Prävalenz von 2,9 bis 44 Prozent (3). Für Deutschland werden bislang regional schwankende Häufigkeiten von 4 bis 14 Prozent angegeben (2, 3, 4).
Konkrete Zahlen aus Deutschland
Im Rahmen der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) wurden 2014 erstmals national repräsentativ Daten zur MIH-Prävalenz und MIH-Schwere bei 12-jährigen Kindern erhoben (5). Die Zuordnung zu einem MIH-Befund erfolgte dabei auf Grundlage der EAPD-Kriterien (6) in die Befundklassen:
- Begrenzte Opazität
- Umschriebener Schmelzeinbruch, oft assoziiert mit einer begrenzten Opazität
- Großflächiger Schmelzeinbruch
- Atypische Restauration (Größe und Form der Restauration entspricht nicht dem primären Auftreten von Karies)
- Extraktion aufgrund von MIH (anamnestisch bestätigt, durch MIH-Befunde an vorhandenen Molaren oder Schneidezähnen gestützt)
Mehr als ein Viertel (28,7 Prozent) der 1468 untersuchten Kinder hatte mindestens einen MIH-Zahn unterschiedlichen Schweregrades (Tabelle 1). Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Jungen (27,9 %) und Mädchen (29,6 %) und auch nicht zwischen Kindern aus neuen und alten Bundesländern (30,7 % vs. 28,4 %) (5).
Tabelle 1: MIH-Prävalenz und Häufigkeit des maximalen Ausprägungsgrades bei 12-jährigen Kindern in Deutschland in % (nach 5)
Alle Kinder betrachtet, betrug die mittlere Anzahl an MIH-Zähnen 0,8. Bei den Kindern mit MIH-Befund waren durchschnittlich 2,7 Zähne betroffen. Bei den meisten betroffenen Kindern beschränkten sich die Hypomineralisationen auf abgegrenzte Opazitäten. Bei 5,4 Prozent der Studienteilnehmer ließen sich jedoch ausgeprägtere MIH-Formen oder deren Therapiefolgen feststellen. Auch hier unterschieden sich die Prävalenzen bei Jungen und Mädchen aus den alten und neuen Bundesländern statistisch nicht signifikant.
In Analogie zur Schweregrad-Differenzierung von MIH-Befunden gemäß der Einteilung von Wetzel und Reckel (7) können Opazitäten als leichte MIH-Befunde aufgefasst werden. Umschriebene Schmelzeinbrüche und atypische Restaurationen zeigen einen mittleren Schweregrad an und großflächige Schmelzverluste sowie MIH-bedingte Extraktionen einen hohen Schweregrad. Auf Grundlage von Tabelle 1 weisen somit 23,3 Prozent der deutschen 12-jährigen Kinder leichte, 4,9 Prozent mittelschwere und 0,5 Prozent schwere MIH-Befunde auf.
Die hohe MIH-Prävalenz von 28,7 Prozent übertrifft die bisher regional in Deutschland registrierten Häufigkeiten deutlich (4). Im Vergleich zu den international vorgelegen Werten stellt dies jedoch keinen auffälligen epidemiologischen Befund dar.
Begrenzte Opazitäten schwer einem Krankheitsbild zuzuordnen
Es deutet sich an, dass es sich bei der MIH um eine Veränderung von steigender Prävalenz handelt. Ein Teil der MIH-Befunde war bislang sicherlich von der Karies und deren Therapiefolgen überlagert. In der Untersuchtenkohorte der DMS V ergab sich eine Kariesprävalenz von 18,7 Prozent (5). Somit übertrifft die MIH-Prävalenz von 28,7 Prozent das Vorkommen von Karies (gemäß WHO-Kriterien). Hieraus sollten aber keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. So stellt sich die Mehrzahl der MIH-Befunde (etwa 80 Prozent der MIH-Kinder betreffend) als begrenzte Opazitäten dar, die gelegentlich schwer gegen Opazitäten anderer Ätiologien abzugrenzen sind. Vor allem aber bleiben sie zumeist ohne klinische Relevanz oder Therapiebedarf. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine Einschätzung der MIH als Nachfolger der Karies sicherlich nicht gerechtfertigt.
Von Bedeutung sind hingegen die 5,4 Prozent der Kinder, die mindestens einen Zahn mit mittlerer oder schwerer MIH aufweisen. Diese deutlich diagnostizierbaren Mineralisationsstörungen, an der immerhin mehr als eines von 20 Kindern leidet, ziehen einen hohen Versorgungsbedarf unter oftmals erschwerten Bedingungen, wie Schmerzerfahrung der Kinder oder schlechte Anästhesierbarkeit der Zähne (2), nach sich. Das macht deutlich, dass weitere intensive Forschung über Ursachen, Vermeidung und Therapie der MIH notwendig ist – zumal die Defekte auch an anderen Zähnen als nur den ersten bleibenden Molaren und Inzisiven zu beobachten sind. Vor allem bedeutet dies aber im klinischen Versorgungsalltag zumindest für die betroffenen Kinder eine Herausforderung, die mit der Versorgung der frühkindlichen Karies vergleichbar ist.
Prof. Dr. Ulrich Schiffner, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Literatur
- Weerheijm KL, Jälevik B, Alaluusua S. Molar-incisor hypomineralisation. Caries Res 2001;35:390-391
- Bekes K. Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation – Prävalenz, Ätiologie. ZWR – Das Deutsche Zahnärzteblatt 2017;126:32–36
- Elfrink, MEC, Ghanim A, Manton DJK L, Weerheijm KL. Standardised studies on Molar Incisor Hypomineralisation (MIH) and Hypomineralised Second Primary Molars (HSPM): a need. Eur Arch Paediatr Dent 2015;16:247-255
- Petrou MA, Giraki M, Bissar AR, Basner R, Wempe C, Altarabulsi MB, Schafer M, Schiffner U, Beikler T, Schulte AG, Splieth Ch. Prevalence of Molar-Incisor-Hypomineralisation among school children in four German cities. Int J Paediatr Dent 2014;24:434-440
- Schiffner U: Krankheits- und Versorgungsprävalenzen bei Kindern (12-Jährige): Karies, Erosionen, Molaren-Inzisiven-Hypomineralisationen. In: Jordan AR, Micheelis W (Gesamtbearbeitung): Fünfte Deutsche Mundgesundheits-Studie (DMS V). Köln: Dtsch Ärzte-Verlag, 2016:231-268.
- Weerheijm KL, Duggal M, Mejàre I, Papagiannoulis L, Koch G, Martens LC, Hallonsten AL. Judgement criteria for molar incisor hypomineralisation (MIH) in epidemiologic studies: A summary of the European meeting on MIH held in Athens, 2003. Eur J Paediatr Dent 2003;4:110–113
- Wetzel WE, Reckel U: Fehlstrukturierte Sechsjahrmolaren nehmen zu – eine Umfrage. Zahnärztl Mitt 1991;81:650-651