Kinder lieben den Bohrer nicht und in Zeiten von Corona ist das Aerosol ein zusätzliches Problem. Zum Glück gibt es einige wissenschaftlich evaluierte Ansätze, wie eine Kariestherapie auch ohne Bohrer auskommen kann. Mit minimalinvasiven, biologisch basierten Verfahren lassen sich kariöse (Milch-)Zähne gut behandeln.
Während der COVID-19-Pandemie sollten in der Kinderzahnheilkunde soweit wie möglich aerosolarme Maßnahmen genutzt werden. Ohnehin sind minimalinvasive Konzepte ohne Bohrer und rotierendes Instrumentarium auch bei mäßig kooperativen Kindern extrem hilfreich. Die modernen Kariesmanagementkonzepte beinhalten die Kariesinaktivierung mittels Fluoride, insbesondere Silberdiamin-Fluorid (SDF), oder für Milchzähne auch spezifische „Versiegelungstechniken“ wie die Hall-Technik (HT) und die atraumatisch-restaurative Therapie (ART).
Kariesinaktivierung mit Fluoriden
Allein durch eine Gleichgewichtsverschiebung von der vorherrschenden Demineralisation hin zu einer ausreichenden Mundhygiene mit fluoridhaltiger Zahnpaste kann gerade bei frei zugänglichen kariösen Defekten wie bei der frühkindlichen oder Wurzelkaries eine Inaktivierung erzielt werden (Abb. 1). Dies dauert allerdings einige Wochen bis Monate. Die inaktivierten Läsionen werden durch die Remineralisation hart und braun – bei Bedarf kann aus ästhetischen Gründen sekundär eine restaurative Versorgung erfolgen. Eine Inaktivierung kann durch den Einsatz von Silberfluoridprodukten aufgrund der starken antimikrobiellen Wirkung von Silber noch erheblich schneller und zuverlässiger erreicht werden, insbesondere bei weiterhin eingeschränkter Mundhygiene.

Abb. 1a: Aktive kariöse Läsionen

Abb. 1b: Durch Mundhygiene und Nutzung einer fluoridhaltigen Zahnpaste inaktivierte frühkindliche Karies
Silberfluoride können die Kariesprogression eindrucksvoll inhibieren. Das am häufigsten verwendete Produkt ist Silberdiaminfluorid (SDF). Die SDF-Lösung besteht aus Diamin-Silber-Ionen und Fluorid-Ionen, welche die Demineralisierung und den Abbau von Dentinkollagen verhindern und zusätzlich die Remineralisierung von kariösem demineralisiertem Schmelz und Dentin fördern (6, 7). Wissenschaftlich wurde eindeutig belegt, dass kavitierte, koronale kariöse Läsionen durch die halbjährliche Applikation von SDF-Lösung besser inaktiviert werden können als mit Fluoridlacktouchierungen (10).
Insgesamt existiert eine konsistente Evidenz, dass SDF bei der Inaktivierung von koronaler Karies im Milchgebiss und bei der Arretierung und Prävention von Wurzelkaries bei Senioren effektiv ist (2, 10). In Deutschland enthält das einzige verfügbare Produkt Silber-Fluorid-Ammoniak und Kalium-Jodid (Riva-Star®, SDI). Dieses Produkt ist allerdings in Europa im Unterschied zu Asien und Australien bis jetzt hauptsächlich als Desensibilisierungsmittel bei überempfindlichen Zähnen zugelassen. Für die Kariestherapie ist die Nutzung von Silberprodukten hierzulande ein „Off-Label-Use“, aber trotzdem sicher und effektiv. Die Behandlung eines Patienten mittels SDF erfolgt einfach durch die Applikation von Silber-Fluorid-Ammoniak und danach von Kalium-Jodid. Das führt allerdings zu einer sofortigen Schwarzfärbung der Läsion, insbesondere bei aktiven, demineralisierten Dentinläsionen (Abb. 2). Qualitativ unterscheidet sich dies jedoch nicht von den dunklen Verfärbungen bei einer reinen Fluoridtherapie (Abb. 1).

Abb. 2a: Konventionelle Kariesentfernung würde hier zur Pulpaeröffnung und häufig zur Extraktion führen.

Abb. 2b: Die Anwendung von Riva-Star® führt zur sofortigen Inaktivierung. Die deutliche Schwarzfärbung kann durch eine nachfolgende restaurative Abdeckung ästhetisch kompensiert werden.
Hall-Technik und atraumatisch-restaurative Therapie
Während die klassische Füllungstherapie am Milchzahn bei kariesaktiven Kindern kaum erfolgreich ist, ist die konfektionierte Stahlkrone fast immer bis zur normalen Exfoliation intakt (5). Im Gegensatz zur konventionellen Präparations- und Applikationstechnik für Stahlkronen kann bei der Hall-Technik auf Präparation und Kariesentfernung verzichtet werden.
Wenn keine irreversible Pulpabeteiligung vorliegt, kann durch das Aufstülpen einer Stahlkrone über den meist mehrflächig kariösen Milchmolaren schnell und einfach die Anatomie und Funktion des Zahnes wieder hergestellt werden (Abb. 3). Außerdem lässt sich die Karies damit genauso erfolgreich arretieren wie mit konventionellen Stahlkronen (4, 8). Die temporäre, minimale Bisserhöhung ist innerhalb eines Monats klinisch kompensiert. Genau wie bei der ART (3), bei der kariöses Dentin mit der Hand exkaviert und die Läsion abschließend mit hochviskösen Glasionomerzementen gefüllt wird, verdeutlicht die Hall-Technik, dass die klassische Kariesentfernung überholt ist und durch ein biologisch basiertes Kariesmanagement ersetzt werden muss (1). Gerade bei tiefen Läsionen hat sich das Konzept der selektiven Kariesentfernung als Standardverfahren etabliert (5, 9).

Abb. 3: Hall-Kronen werden ohne Präparation, Lokalanästhesie oder Kariesentfernung bei Milchmolaren appliziert.
Prof. Dr. Christian H. Splieth (Abb. 1 und 2) und OÄ Dr. Ruth M. Santamaría (Abb. 3), Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde, ZZMK, Universitätsmedizin Greifswald
Literatur:
- Banerjee A, Frencken JE, Schwendicke F, Innes NPT. Contemporary operative caries management: Consensus recommendations on minimally invasive caries removal. Br Dent J. 2017;223(3).
- Chibinski AC, Wambier LM, Feltrin J, Loguercio AD, Wambier DS, Reis A. Silver Diamine Fluoride Has Efficacy in Controlling Caries Progression in Primary Teeth: A Systematic Review and Meta-Analysis. Caries Res. 2017;51(5):527–41.
- Frencken JE. Atraumatic restorative treatment and minimal intervention dentistry. Br Dent J. 2017 Aug;223(3):183–9.
- Innes NP, Evans DJP, Stirrups DR. The Hall Technique; A randomized controlled clinical trial of a novel method of managing carious primary molars in general dental practice: Acceptability of the technique and outcomes at 23 months. BMC Oral Health. 2007;
- Innes NPT, Ricketts D, Chong LY, Keightley AJ, Lamont T, Santamaria RM. Preformed crowns for decayed primary molar teeth. Cochrane database Syst Rev. 2015 Dec;(12):CD005512.
- Mei ML, Ito L, Cao Y, Li QL, Lo ECM, Chu CH. Inhibitory effect of silver diamine fluoride on dentine demineralisation and collagen degradation. J Dent. 2013 Sep;41(9):809–17.
- Rosenblatt A, Stamford TCM, Niederman R. Silver diamine fluoride: a caries “silver-fluoride bullet”. J Dent Res. 2009 Feb;88(2):116–25.
- Santamaría, R.M., Schmoeckel J, Innes N, Machiulskine V, Alkilzy M SC. Kariesmanagementoptionen für Milchmolaren: Ergebnisse einer randomisierten klinischen 2-Jahresstudie. Dtsch Zahnärztliche Zeitschrift. 2020;75(2):88–96.
- Schwendicke F, Frencken JE, Bjorndal L, Maltz M, Manton DJ, Ricketts D, et al. Managing Carious Lesions: Consensus Recommendations on Carious Tissue Removal. Adv Dent Res. 2016 May;28(2):58–67.
- Seifo N, Cassie H, Radford JR, Innes NPT. Silver diamine fluoride for managing carious lesions: an umbrella review. BMC Oral Health. 2019 Jul;19(1):145.