Mithilfe von Sequenzierung und Bioinformatik lässt sich eine Kariogenität des Mikrobioms der Mundhöhle feststellen. Das haben neue Studien ergeben. Dabei sollten die Informationen aus dem Speichelmikrobiom und der Mikroflora der Biofilme kombiniert werden. Noch nicht möglich ist es, anhand der Pellikelschicht auf Zahnoberflächen eine indivuelle Empfänglichkeit für die Entwicklung von Karies nachzuweisen.
Rolle der erweiterten ökologischen Plaquehypothese im Kariesprozess
Der Kariesprozess wird durch die Aktivität mikrobieller Biofilme auf Zahnoberflächen ausgelöst und unterhalten. Mikrobielle Biofilme bilden sich jedoch unabhängig von der Kariesaktivität auf allen oralen Hartsubstanzoberflächen. In der Vergangenheit wurde ein diagnostisches Konzept verfolgt, bei dem besonders Streptococcus mutans sowie Laktobazillen mit der Initiation und der Progression der Karies in Verbindung gebracht wurden. Inzwischen gibt es jedoch zahlreiche Hinweise, dass bei einer hohen Keimzahl von Streptococcus mutans oder von Laktobazillen nicht unbedingt Kariesaktivität auftreten muss. Mikrobiomanalysen zeigen zudem, dass diese Keime bei Kariesaktivität weder in der Kariesläsion noch im dentalen Biofilm die Mikroflora dominieren. Deutlich häufiger kommen andere und individuell unterschiedliche Keime vor.
Diesen Erkenntnissen trägt die erweiterte ökologische Plaquehypothese Rechnung. Sie beschreibt eine Verschiebung des Biofilmmikrobioms hin zu einem höheren Anteil von säurebildenden und säuretoleranten Spezies. Dazu führen Veränderungen im lokalen Umfeld wie zum Beispiel die häufige Verfügbarkeit niedermolekularer Kohlenhydrate. Liefert die Zusammensetzung des oralen Mikrobioms eventuell Hinweise auf eine aktuelle Kariesaktivität? Und kann das Proteom der initialen Pellikel als diagnostisches Substrat genutzt werden? Mehrere Studien sind diesen Fragen nachgegangen.
Studie 1: Zucker verschiebt Bakterienspektrum
Eine Freiburger Arbeitsgruppe (1) hat bei elf gesunden Personen untersucht, ob sich das dentale Biofilmmikrobiom bei häufiger Kohlenhydratexposition verändert und wie sich diese Veränderungen auf die Schmelzoberfläche initial auswirken. Auf individuell angefertigten Kunststoffschienen wurden im Oberkiefer Schmelzproben, die aus Rinderschneidezähnen gewonnen wurden, befestigt. Die Probanden behielten ihre häusliche Mundhygiene wie gewohnt bei. Zunächst entnahmen die Wissenschaftler Biofilmproben unter dem Einfluss einer normalen Diät. Danach lutschten die Probanden 5-mal täglich 2 g Saccharose in Form von Kandiszucker und es wurden erneut Biofilme gewonnen. Ein Ernährungsprotokoll ermöglichte die Kalkulation der insgesamt aufgenommenen Zuckermenge. Die Zusammensetzung der Biofilme wurde mittels Sequenzierung, die Rauheit der getragenen Schmelzprüfkörper per 3D-Laserscanning-Mikroskopie bestimmt.
Das Ergebnis: Mit der Zuckerexposition reduzierte sich die mikrobielle Diversität im Mikrobiom. Außerdem verschob sich das Spektrum der bakteriellen Gemeinschaften: Bei allen Studienteilnehmern kam es zu einem signifikanten Anstieg der Firmicutes, darunter der Gattung Streptococcus. Vor allem Non-mutans-Streptokokken, wie S. gordonii, S. sanguinis und S. parasanguinis bestimmten das Bild. S. mutans wurde nur bei zwei Teilnehmern in sehr geringen Anteilen gefunden. Die Familie der Pasteurellaceae nahm mit den Hauptrepräsentanten Haemophilus und Aggregatibacter signifikant ab, ebenso die Klasse Bacteroidia mit den Gattungen Prevotella und Porphyromonas. Die 3D-Rauheitsmessungen ergaben eine geringfügige, nicht signifikante Zunahme der Werte. Die Studie zeigt, dass hochfrequent zugeführte große Mengen niedermolekularer Kohlenhydrate das Biofilmmikrobiom messbar verändern. Das bestätigt die erweiterte ökologische Plaquehypothese.
Studie 2: Biofilmmikrobiom gibt Hinweise auf Kariesaktivität
In der Studie einer Arbeitsgruppe aus Dresden und Homburg (2) wurden auf die gleiche Weise Biofilme gewonnen. Ziel war es, die initiale mikrobielle Besiedlung von Schmelzoberflächen bei 27 jungen Erwachsenen mit oder ohne Kariesaktivität zu vergleichen. Die 13 kariesaktiven Probanden wiesen mindestens drei Dentinkariesläsionen auf und zeigten keine Anzeichen einer aktuellen klinischen Kariesaktivität. Die Biofilme wurden nach 2-, 4- und 8-stündiger Exposition der Schmelzprüfkörper in der Mundhöhle gewonnen. Die Probanden nahmen während dieser Zeit nur Wasser zu sich.
Die Mikrobiome wurden mittels Sequenzierung untersucht. Hinsichtlich Alter und Speichelfließrate waren die kariesaktiven und kariesinaktiven Probanden vergleichbar. Approximalraumplaque- und Sulkusblutungs-Indices zeigten für die kariesaktive Gruppe geringfügig höhere Werte. Die Mikrobiome der Biofilme waren interindividuell sehr heterogen. Zwischen Speichel- und Biofilmproben zeigten sich deutliche Unterschiede, die Diversität der Mikrobiome unterschied sich jedoch nicht zwischen kariesaktiven und kariesinaktiven Studienteilnehmern. Zwischen den beiden Gruppen ergaben sich im Laufe der Biofilmentwicklung von 2 h bis 8 h zunehmend Unterschiede für das Vorkommen einzelner bakterieller Taxa. Waren nach 2 h sechs signifikante Unterschiede erkennbar, stieg deren Zahl nach 4 h auf 12 und nach 8 h auf 31 an. Im Speichel wurden 30 dieser unterschiedlich präsenten Taxa nachgewiesen.Bemerkenswert war, dass die signifikanten Unterschiede zwischen kariesaktiven und kariesinaktiven Probanden für die Biofilmproben vor allem durch Mikroorganismen bestimmt wurden, die Kariesaktivität repräsentieren. Bei den Speichelmikrobiomen verhielt es sich genau umgekehrt: Die signifikanten Unterschiede wurden durch Taxa bestimmt, die überwiegend nicht mit Kariesaktivität in Verbindung gebracht werden. Als universeller Kariesmarker konnte keine bestimmte Bakterienspezies nachgewiesen werden. Dies steht im Einklang mit der erweiterten ökologischen Plaquehypothese. Für die Erkennung einer Kariesaktivität und auch der Bestimmung eines Kariesrisikos könnte den Ergebnissen zufolge eine kombinierte Analyse von Speichel- und Biofilmproben sinnvoll sein.
Was beide Studien unterscheidet
Hinsichtlich der Diversität der Mikrobiome kariesaktiver und kariesinaktiver Probanden unterscheiden sich die Ergebnisse der beiden Studien. Dies kann dadurch erklärt werden, dass in der ersten Studie eine akute hochfrequente Zuckeraufnahme stattfand, während in der zweiten Studie die normale Diät nicht modifiziert wurde. Bemerkenswert ist ein Ergebnis der zweiten Studie: Die Unterschiede in den Mikrobiomen waren insbesondere bei den 8-h-Biofilmen ausgeprägt, obwohl die Probanden während der Biofilmbildung keine Nahrung aufgenommen hatten.
Studie 3: Erstmals Pellikelschicht untersucht
In einer dritten Studie wollte eine deutschlandweite Arbeitsgruppe (3) wissen: Unterscheiden sich die Proteome von Pellikel und Speichel zwischen kariesaktiven, sanierten und kariesinaktiven Kindern und kann eine individuelle Empfänglichkeit für den Kariesprozess vermutet werden? Hier wurde erstmals die der mikrobiellen Biofilmbildung zeitlich vorgelagert entstehende initiale Pellikelschicht untersucht. Dazu wurden unterschiedliche Methoden der Massenspektrometrie genutzt. Am häufigsten fanden sich folgende Verbindungen: Essigsäure, Propionsäure, Glycin, Serin, Galaktose und Mannose, Lactose, Glucose, Palmitinsäure und Stearinsäure. Allerdings wurden weder im Speichel- noch im Pellikelproteom signifikante Unterschiede abhängig von der Kariesaktivität nachgewiesen.
Prof. Stefan Rupf, Universitätsklinikum des Saarlandes
Literatur:
- Anderson AC, Rothballer M, Altenburger MJ, Woelber JP, Karygianni L, Lagkouvardos I, Hellwig E, Al-Ahmad A. In-vivo shift of the microbiota in oral biofilm in response to frequent sucrose consumption. Sci Rep. 2018;8:14202. www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6155074/
- Rupf S, Laczny CC, Galata V, Backes C, Keller A, Umanskaya N, Erol A, Tierling S, Lo Porto C, Walter J, Kirsch J, Hannig M, Hannig C. Comparison of initial oral microbiomes of young adults with and without cavitated dentin caries lesions using an in situ biofilm model. Sci Rep. 2018;8:14010. ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6143549/
- Schulz A, Lang R, Behr J, Hertel S, Reich M, Kümmerer K, Hannig M, Hannig C, Hofmann T. Targeted metabolomics of pellicle and saliva in children with different caries activity. Sci Rep. 2020;10:697. nature.com/articles/s41598-020-57531-8