Der Einheitliche Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen und die aktuellen Empfehlungen des Netzwerks Gesund ins Leben gehen entscheidende Schritte in die richtige Richtung: Zahnmedizinische Betreuung und Kariesprävention sollen sehr früh beginnen. Vergleichende Daten zu Kariesprävalenz und -erfahrung bei Kleinkindern unterstreichen die Dringlichkeit dieser Maßnahmen.
Während sich die Kariesprävalenz im bleibenden Gebiss verbessert, ist der Kariesrückgang im Milchgebiss bei Kindern in Deutschland bislang enttäuschend gering. Fast jedes zweite 6- bis 7-jährige Kind hat Karies [1]. Daran hat sich in der jüngeren Vergangenheit wenig geändert. Was folgt daraus? Zum einen muss die Kariesprävention bei Kleinkindern sehr früh einsetzen. Dem wurde inzwischen entsprochen: Mit den neuen Positionen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) kann die zahnmedizinische Betreuung ab dem Alter von sechs Monaten starten. Zum anderen benötigen wir belastbare deutschlandweite Daten über die Kariesentwicklung im Kleinkindalter. Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) hat in einer Studie die Karieslast dreijähriger Kinder auf annähernd nationalem Niveau zwar erfasst [1]. Da es sich aber um die erste umfassende Querschnittsstudie in dieser Altersgruppe handelt, lassen sich noch keine Vergleiche herstellen, um die Entwicklung der Karieslast bei Kleinkindern bemessen zu können.
Hinweise aus Hamburger Daten
Einen Hinweis auf die Entwicklung von Kariesprävalenz und -erfahrung bei Kindern im Vorschulalter können Daten aus Hamburg geben. Hier besteht eine längere Tradition kariesepidemiologischer Erhebungen in Kindertagesstätten. Aus einem Vergleich der jüngsten Erhebung von 2016 [2] mit der vorhergehenden Untersuchung von 2006 [3] lassen sich für die norddeutsche Großstadt Tendenzen der Kariesentwicklung bei 3- bis 6-jährigen Kindern ablesen. In beiden Untersuchungen wurde die Karies in den zufällig ausgewählten Kitas gemäß WHO-Kriterien unter zusätzlicher Einbeziehung von Initial- und Schmelzläsionen registriert. Es wurden die Kariesprävalenz sowie die Karieserfahrung (dmft-Wert) ohne und mit Berücksichtigung der frühen Kariesstadien errechnet. Anhand von Fragebögen, die die Eltern ausgefüllt hatten, ließen sich die Kinder einem sozioökonomischen Status (basierend auf dem Bildungsniveau der Eltern) sowie einem Migrationshintergrund zuordnen. Zudem wurden Angaben zum Zähneputzen erhoben und statistisch ausgewertet.
Für die Studie 2016 wurden 933 Kinder untersucht. Nach WHO-Kriterien lag die Kariesprävalenz bei 22,7 Prozent. Es waren also gut drei Viertel der Kinder frei von Dentin-Karieserfahrung (dmft = 0). Die durchschnittliche Karieserfahrung (dmft) betrug 0,8 ± 1,9 Zähne. Sowohl die Prävalenz als auch der dmft-Wert zeigen eine signifikant höhere Karieslast bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status und Familien mit Migrationshintergrund. Bezieht man Initialkaries mit ein, sind nur noch 55,6 Prozent der Kinder ohne Karieserfahrung und die mittlere Karieserfahrung steigt auf 1,8 ± 2,7 Zähne.
Im Vergleich zur Erhebung von 2006, in der die Kariesprävalenz nach WHO-Kriterien 27,3 Prozent und der dmft-Wert 1,2 ausgemacht haben, hat sich die Zahngesundheit der 3- bis 6-Jährigen verbessert. Allerdings hat sich die Karieslast vor allem bei 3-jährigen Kindern nur geringfügig verringert, während der Gewinn an Zahngesundheit mit höherem Alter zunehmend steigt (Abb. 1). Da viele Kinder bislang erst ab dem Alter von 3 Jahren kariespräventiv betreut wurden, lässt sich aus den Daten auf einen positiven Effekt der bisherigen Maßnahmen für die älteren Kinder und zugleich ein bis dato ungelöstes Problem für die jüngeren Kinder schließen.
Initialkariöse Defekte reduzieren
Dass vor allem bei den Kleinkindern Karies weiter ein großes Problem ist, lässt sich auch aus einer Gegenüberstellung der Kariesdaten von 2016 ohne und mit Einbeziehen von Initialläsionen ableiten. Bereits die 3-jährigen Kinder haben sehr viele initialkariöse Zähne. In den folgenden Lebensjahren kommen nur noch vergleichsweise wenige hinzu (Abb. 2). Das bedeutet: Mit zunehmendem Alter entstehen zwar weniger neue Initialdefekte, aber die schon vorhandenen Initialdefekte entwickeln sich teilweise zu kavitierender Karies weiter. Um dieser Dynamik einen Riegel vorzuschieben, muss vordringlich die Anzahl initialkariöser Defekte bis zum Alter von 3 Jahren reduziert werden. Zudem sind frühzeitig und verstärkt Fluoridanwendungen mittels Zahnpasten und Lacken erforderlich – so sehen es auch die aktuellen Empfehlungen zur Kariesprophylaxe bei Kleinkindern vor [4].
Frühzeitig und gründlich die Zähne putzen
Die Angaben der Eltern über das Zähneputzen bei ihren Kindern und eine Beurteilung einfach erkennbarer Plaqueauflagerungen auf den Oberkiefer-Frontzähnen der Kinder lieferten Informationen darüber, wie die Karieslast mit dem Beginn des Zähneputzens, der täglichen Häufigkeit und der Qualität des Putzens zusammenhängt (Tab. 1). So sind das Putzen ab dem ersten Milchzahn oder mit spätestens einem Jahr sowie das mindestens zweimal tägliche Putzen mit einer signifikant geringeren Karieserfahrung der Kinder verbunden. Zugleich geht geringer Plaquebefall – also eine gute Mundhygiene – der Oberkiefer-Frontzähne mit weniger Karies einher.
Übereinstimmende Daten
Ein Vergleich der Daten aus Hamburg mit den Daten der 3-jährigen Kinder aus der DAJ-Studie zeigt eine gute Übereinstimmung: In der DAJ-Studie lag die Prävalenz einer manifesten Karies bei 13,7 Prozent und der dmft-Wert bei 0,48, in Hamburg wurden Werte von 12,0 Prozent und 0,4 ermittelt. Das lässt eine prinzipielle Verallgemeinerung der Ergebnisse für Deutschland zu.
Die Zusammenhänge zwischen Zähneputzen und der Karieslast könnten zwar durch demografische Variablen überlagert sein, sind aber dennoch hochinteressant, da sich aus ihnen Argumente ableiten lassen, mit denen junge Familien zur Kariesprävention bei ihren Kindern angeleitet werden können. Die Botschaft muss sein: Mit dem Zahndurchbruch, spätestens aber mit dem Alter von 12 Monaten mit dem Zähneputzen beginnen und die Zähne mindestens zweimal täglich effektiv putzen. Dabei sollen fluoridhaltige Zahnpasten verwendet werden,– empfohlen wird die Anwendung von Kinderzahnpasten mit 1.000 ppm Fluorid ab dem Alter von 6 bis 12 Monaten [4].
Prof. Ulrich Schiffner, Universität Hamburg
Literatur
- Team DAJ (2017) Epidemiologische Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016. ISBN 978-3-926228-30-7. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege e. V. – Studien (daj.de) (Zugriff 19.12.2021)
- Schulz B (2020) Kariesprävalenz und Karieserfahrung bei 3- bis 6-jährigen Kindern in Hamburg. Med Diss, Hamburg. Die Erhebungen wurden mit organisatorischer Unterstützung durch die Landesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Jugendzahnpflege in Hamburg e. V. (LAJH) durchgeführt.
- Sabel C (2012) Karies bei Hamburger Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren im Jahr 2006. Med Diss, Hamburg. Die Erhebungen wurden mit organisatorischer Unterstützung durch die Landesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Jugendzahnpflege in Hamburg e. V. (LAJH) durchgeführt.
- Netzwerk Gesund Ins Leben (B. Berg MC, M. Flothkötter, B. Koletzko, N. Krämer, M. Krawinkel, B. Lawrenz, H. Przyrembel, U. Schiffner, C. Splieth, K. Vetter, A. Weißenborn). (2021) Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter: Handlungsempfehlungen des bundesweiten Netzwerks Gesund ins Leben. In: Monatszeitschrift Kinderheilkunde https://doi.org/10.1007/s00112-00021-01167-z