Karies im Milchgebiss ist immer noch weit verbreitet und wird oft nur unbefriedigend therapiert. Um diese Situation zu verbessern, hilft der evidenzbasierte Konsens der Organisation for Caries Research (ORCA) und der European Federation of Conservative Dentistry (EFCD inkl. DGZ).
Der ORCA/EFCD-Konsens (1, 2) beruht auf sechs systematischen Reviews, die die Evidenzbasis für die Statements der Fachgesellschaften darstellen. Zwei Reviews beschäftigten sich mit Karies an Michzähnen (3, 4). Allgemeine Praxis dürfte bereits die Empfehlung sein: „Nichtkavitierte (ECC-)Läsionen sollten primär durch nichtinvasive Maßnahmen wie verbessertes häusliches Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpaste und zusätzlichen Fluoridlackapplikationen therapiert werden.“ Das heißt: Nichtkavitierte Läsionen werden in der Regel non-invasiv mit remineralisierenden Methoden behandelt.
Neu dürfte allerdings sein, dass sich bereits kavitierte Dentinläsionen genauso behandeln lassen. Neben den etablierten Fluoridapplikationen mit Zahnpaste oder Lack kann Silberfluorid dabei unterstützen: „Dentinläsionen durch ECC ohne pulpale Beteiligung können erfolgreich mit Silber(diamine)fluorid behandelt werden. Als Nebenwirkung verfärbt sich das kariöse Dentin schwarz“ (Abb. 1). Die Eltern müssen also nicht nur über die Restauration, die bei kleinen Kindern meist maximalinvasiv unter Narkose stattfinden muss, aufgeklärt werden, sondern zwingend auch über den noninvasiven Ansatz.
Besonders interessant ist diese Situation unter den Vorgaben der kassenzahnärztlichen Versorgung, die ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig zu erfolgen hat. Aufgrund der fehlenden Platzhalterfunktion von Frontzähnen würde dies insbesondere bei Pulpennähe die Extraktion unter Narkose bedingen. Im Vergleich zur Extraktion wird dann die temporäre Verfärbung bei einer Inaktivierung der Läsionen für viele Eltern akzeptabel. Bei etwas verbesserter Kooperation lassen sich die Verfärbungen mittels zahnfarbener Restaurationen, meist in Adhäsivtechnik, korrigieren.
Putzen ist genauso erfolgreich wie Restaurieren
In einer Greifswalder Studie sollten Kinder approximale Kavitäten an Milchmolaren entweder nur putzen oder sie erhielten eine Compomerfüllung (5). Die non-invasive Therapie lieferte bezüglich Progression der Läsion, Schmerzen, Abszessen, Fisteln und Extraktionen fast identische Ergebnisse wie die Compomerfüllung. Allerdings mochten die Patienten das Bohren und Füllen deutlich weniger als das einfache Putzen. Letztendlich entscheidet der Biofilm über die Zukunft der Läsion – mit oder ohne Füllung.
ORCA und EFCD verabschiedeten aufgrund der Studienlage diese Empfehlung: „Nicht-restaurative Karieskontrolle (NRCC) erzielt vergleichbare Ergebnisse wie die konventionelle direkte Füllungstherapie. NRCC sollte nur für Patienten und deren Eltern bei ausreichender Mitarbeit genutzt werden.“
Bei Patienten mit unzureichender Mundhygiene versagen die Füllungen allerdings, sodass der Konsens hier empfiehlt: „Bei Milchmolaren ist die konventionelle Präparation von konfektionierten Stahlkronen, oft in Kombination mit einer Pulpotomie signifikant erfolgreicher als mehrflächige Füllungen und äquivalent zur indikationsgerechten Hall-Technik, insb. ohne irreversible Pulpaentzündung.“ Füllungen sind daher nur bei geringer Kariesaktivität eine sinnvolle Option – diese Kinder haben dann meistens auch keine Kavitäten oder Füllungsbedarf.
Fazit
Die Kontrolle der Kariesaktivität bestimmt die orale Gesundheit langfristig erheblich stärker als das Legen von Restaurationen. Zahnärzte und Zahnärztinnen sollten dies bei der synoptischen Therapieplanung gebührend berücksichtigen, indem sie das Netto-Ungleichgewicht zwischen De- und Remineralisation umkehren.
Das vollständige Konsenspapier kann kostenlos auf ZMonline heruntergeladen werden:
Kariesmanagement bei Kindern: zm-online
Prof. Christian H. Splieth, Universität Greifswald
Literatur
- Christian H. Splieth, Sebastian Paris, Falk Schwendicke. Expertenkonsens von ORCA und EFCD/DGZ – Teil 1: Kariesmanagement bei Kindern. ZM-online 01.10.2020: Kariesmanagement bei Kindern: zm-online
- Splieth CH, Banerjee A, Bottenberg P, Breschi L, Campus G, Ekstrand KR, Giacaman RA, Haak R, Hannig M, Hickel R, Juric H, Lussi A, Machiulskiene V, Manton DJ, Jablonski-Momeni A, Opdam NJM, Paris S, Santamaría RM, Schwendicke F, Tassery H, Ferreira Zandona A, Zero DT, Zimmer S, Doméjean S. How to Intervene in the Caries Process in Children: A Joint ORCA and EFCD Expert Delphi Consensus Statement. Caries Res. 2020;54:297-305.
- Schmoeckel J, Gorseta K, Splieth CH, Juric H. How to Intervene in the Caries Process: Early Childhood Caries – A Systematic Review. Caries Res. 2020;54(2):102-112.
- Santamaría RM, Abudrya MH, Gül G, Mourad MS, Gomez GF, Zandona AGF. How to Intervene in the Caries Process: Dentin Caries in Primary Teeth. Caries Res. 2020;54:306-323.
- Santamaría RM, Innes NPT, Machiulskiene V, Schmoeckel J, Alkilzy M, Splieth CH. Alternative Caries Management Options for Primary Molars: 2.5-Year Outcomes of a Randomised Clinical Trial. Caries Res. 2017;51(6):605-614.