Die Plaque- und Gingivitisbefunde von Kindern und Eltern zeigen eine auffällig starke Verbindung zueinander. Besonders bemerkenswert ist: Je stärker die Eltern davon überzeugt sind, durch Eigeninitiative die Zahngesundheit beeinflussen zu können, desto besser ist die Mundhygiene ihrer Kinder. Diese Studienergebnisse aus einer Hamburger zahnärztlichen Praxis unterstreichen, wie wichtig Wissensvermittlung und frühes praktisches Training der Mundhygiene sind.
Konstrukt der Kontrollüberzeugung
Wenn Kinder Gesundheitsverhalten lernen, spielen Eltern eine bedeutende Rolle (1). Die Mundgesundheit von Eltern und ihr Wissen darüber prägen die Mundhygiene ihrer Kinder (1, 2, 3, 4, 5). Dabei sind auch die elterlichen Einstellungen und Überzeugungen mit der Entstehung von Karies bei den Kindern verknüpft (1), wenngleich dies seltener untersucht wurde.
In der Psychologie versteht man unter „Kontrollüberzeugung“ („locus of control“, LoC) lebensgeschichtlich erworbene, situationsübergreifende und generalisierte Erwartungshaltungen (6). Während ein Individuum bei der internalen Kontrolle Ereignisse als Konsequenzen des eigenen Verhaltens wahrnimmt, führt eine Person bei der externalen Kontrollüberzeugung das Geschehen auf Umstände zurück, die sie nicht beeinflussen kann. Der Fragebogen „Kontrollüberzeugungen zu Krankheit und Gesundheit (KKG)“ mit 21 Items überträgt das Konstrukt in die Medizin (7). Dabei wird noch einmal unterschieden zwischen external sozialen Überzeugungen, bei denen zum Beispiel Ärzte für die Kontrolle von Krankheit und Gesundheit verantwortlich sind, und external fatalistischen Überzeugungen, bei denen der eigene Gesundheitszustand vom Zufall oder Schicksal abhängt.
Die Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS-IV) zeigte, dass internale mundgesundheitsbezogene Kontrollüberzeugung und oralpräventives Verhalten deutlich zusammenhängen, wobei mit zunehmendem Alter die fatalistische Externalität stieg (8, 9). Erwachsene mit stärkerer aktiver Kontrollorientierung hatten zudem weniger Karieserfahrung (9). Eine neuere Studie in einer Hamburger zahnärztlichen Praxis erfasste nun die Mundgesundheitsdaten von Kindern und ihren Eltern oder anderen Erziehungspersonen und analysierte den Zusammenhang zwischen elterlichen Kontrollüberzeugungen und der Zahngesundheit der Kinder (10).
Das wurde untersucht
An der Studie nahmen Kinder von 3 bis 17 Jahren mit jeweils einem Elternteil oder einer anderen Erziehungsperson teil. Alle Teilnehmenden wurden zahnärztlich untersucht. Der Kariesbefund orientierte sich an den WHO-Kriterien (11). Die Mundhygiene wurde mittels Approximalraum-Plaque-Index (API) (12) beurteilt und zur Gingivitisdiagnostik wurde der Papillenblutungsindex (PBI, (13)) erhoben – bei Kleinkindern allerdings nur bei guter Compliance. Außerdem erfassten die Forschenden die Zahnputzhäufigkeit der Kinder sowie Sozialschicht, Migrationshintergrund, Beruf und Geburtsland der Eltern. Wie stark ausgeprägt die eigenverantwortliche Kontrollüberzeugung der Eltern war, wurde mittels Skalierung und Summenwert von drei Fragen ermittelt:
- Es liegt an mir, mich vor Problemen mit den eigenen Zähnen zu schützen (internale Kontrollorientierung – Eigeninitiative)
- Wenn ich mich mit meinen eigenen Zähnen wohl fühle, dann verdanke ich dies vor allem den Ratschlägen und Hilfen anderer (soziale Kontrollorientierung – Fremdhilfe)
- Wenn es das Schicksal so will, dann bekomme ich Probleme mit den Zähnen (fatalistische Kontrollorientierung – Schicksal)
Die Forschenden errechneten für die Kinder den API- und PBI-Index sowie den DMFT-Gesamtindex und ermittelten durch Korrelationsanalysen die Zusammenhänge zwischen den Mundgesundheitswerten der Kinder und ihren Erziehungspersonen sowie zwischen den Kontrollüberzeugungen der Eltern und der Mundgesundheit der Kinder. Der Einfluss von Geschlecht, Alter, sozialer Schicht, Migrationshintergrund, Zahnputzhäufigkeit der Kinder und den Kontrollüberzeugungen der Eltern auf die Mundgesundheit der Kinder wurde mithilfe multivariater Regressionsanalysen untersucht. Für die Zielvariable PBI wurde der API als unabhängige Variable hinzugefügt, für die Karieserfahrung zudem der PBI.
Mundgesundheit von Sozialschicht abhängig
Es wurden 106 Kinder, 54 Jungen und 52 Mädchen im mittleren Alter von rund neun Jahren, und ihre Erziehungspersonen untersucht – bei 77 Kindern war das die leibliche Mutter. Knapp 8 Prozent der Kinder konnten der sozialen Oberschicht zugeordnet werden, rund 38 Prozent der Mittelschicht und etwa 54 Prozent der unteren Sozialschicht. Die Mundhygiene- und Gingivitisbefunde der Kinder unterschieden sich abhängig von der Sozialschichtzugehörigkeit deutlich. Ebenso die Karieserfahrung, wenngleich ohne statistische Signifikanz (Tab. 1).

Tab. 1: Plaque (API), Gingivitis (PBI) und Karies (Gesamt-DMFT) der Kinder (Mittelwerte) nach Sozialschicht, p: Kruskal-Wallis-Test
Die Plaque- und Gingivitisbefunde der Kinder und Eltern zeigten hochsignifikante Zusammenhänge. Bei Karies ergab sich hingegen kein statistischer Zusammenhang. Die Auswertung der Fragebögen ergab, dass Eltern die Bedeutung von Eigeninitiative (94,3 %) und Fremdhilfe (67,9 %) für die Zahngesundheit hoch einschätzen. Gleichzeitig betrachten jedoch 54,8 % Zahnprobleme als schicksalsbedingt, wobei diese Haltung signifikant häufiger in der sozialen Unterschicht und bei Personen mit Migrationshintergrund zu finden war.
Die Kontrollüberzeugungen der Eltern korrelierten signifikant mit dem Plaquebefall der Kinder. Je stärker die internale Kontrollüberzeugung ausgeprägt war, desto weniger Plaque war vorhanden (Abb. 1). Hingegen ergab sich kein Zusammenhang der Kontrollüberzeugungen der Eltern mit den Gingivitisbefunden sowie die Karieserfahrung der Kinder.

Abb. 1: Plaquebefund (API) der Kinder in Abhängigkeit von der internalen Kontrollüberzeugung der Eltern („Es liegt an mir, mich vor Problemen mit den eigenen Zähnen zu schützen“), Korrelationsanalyse nach Pearson
Letztlich zeigte sich in den Regressionsanalysen, dass sowohl die Kontrollüberzeugungen der Eltern als auch die Zahnputzfrequenz den API statistisch signifikant beeinflussen. Zudem wirkt der API hochsignifikant auf den PBI-Index ein und der DMFT-Wert der Kinder wurde signifikant durch den PBI erklärt.
Wissensvermittlung und praktisches Training früh beginnen
Wenngleich die Probanden aus nur einer zahnärztlichen Praxis stammen, zeigt die Studie, dass die Kontrollüberzeugungen der Eltern die Mundgesundheit der Kinder erheblich beeinflussen. Es wurde ein hoher Plaquebefall bei den untersuchten Kindern (API-Wert: 74,8%) und somit eine unzureichende Mundhygiene festgestellt. Die Plaque- und Gingivitisbefunde zeigen die aus vielen Untersuchungen bekannten Zusammenhänge mit der Sozialschicht (1, 14). Ähnliche Ergebnisse wurden auch bei den Eltern beobachtet, wobei die Plaque- und Gingivitisbefunde von Kindern und Eltern signifikant miteinander korrelieren. Dies bestätigt die Bedeutung des elterlichen Verhaltens für die orale Gesundheit ihrer Kinder (1, 2, 3, 5).
Besonders ausgeprägt ist der Zusammenhang zwischen der internal orientierten Kontrollüberzeugung der Eltern – dem Glauben, durch Eigeninitiative die Zahngesundheit zu verbessern – und dem geringeren Plaquebefall bei ihren Kindern. Eine Mehrheit der Eltern sieht die Eigeninitiative als zentral für die Zahngesundheit an, gleichzeitig zeigt die Studie jedoch, dass eine schicksalsbezogene Kontrollorientierung bei vielen ebenfalls vorhanden ist.
Die Ergebnisse verdeutlichen, wie bedeutsam es ist, die elterlichen Kontrollüberzeugungen durch Wissensvermittlung und praktisches Training der Mundhygiene bei Kleinkindern ab dem Alter von 6 Monaten zu stärken. Solche Maßnahmen könnten entscheidend dazu beitragen, die Kariesprävention zu stärken und die Mundgesundheit von Kindern nachhaltig zu verbessern.
Prof. Dr. Ulrich Schiffner, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Literatur
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- Jones KE, Simancas-Pallares MA, Ginnis J et al. (2022) Guardians‘ self-reported fair/goor oral health is associated with their young children’s fair/poor oral health and clinically determined dental caries experience. Int J Environ Res Public Health 20
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- Micheelis W, Reiter F (2006) Soziodemographische und verhaltensbezogene Aspekte oraler Risikofaktoren in den vier Alterskohorten. In: Micheelis W, Schiffner U (eds) Vierte Deutsche Mundgesundheits-Studie (DMS IV). Deutscher Zahnärzte-Verlag, Köln, p 375-398
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